"Das Verhältnis von Realität und Simulation ist unscharf geworden unter derzeitigen Medienbedingungen. Sehen und Gesehen-Werden, dieses eigentlich unterhaltsame gesellschaftliche Spiel, folgt inzwischen Algorithmen und schlichten Produktionslogiken. Was einmal Gefolgschaft hiess, wird unter dem Begriff der Follower - im Fernsehen als Quote - zum „Ersatz“ für politisches Handeln. Wirklichkeit wird uns als Show von Reality und dann als Konkurrenz, Rivalität, Siegen und Das-Grösste-Sein verkauft. Utopien, die anderes annehmen, werden abgeschrieben. Unter den vielen eindrucksvollen Filmen, die wir als Jury diskutieret haben, war einer, der gegen diese Logik Einspruch erhebt: auf analytische und zugleich auf künstlerische Weise.
Der Film bewegt sich auf zwei Zeitachsen zugleich: Einerseits handelt er von der Schwierigkeit des Erinnerns. Er geht, vor Ort, on location, den verwischten Spuren einer Reality Show nach, rekonstruiert gemeinsam mit Protagonist_innen, die Machenschaften der Firma, die Geld verdienen wollte mit den Hoffnungen wirklicher Leuter. Die spezifische und sehr kluge Form des re-enactments, die der Film realisiert, ist zugleich ein kritischer Beitrag zum Genre des Dokumentarischen überhaupt. Die präzise künstlerische Formalisierung des Films eröffnet die aussergewöhnlichen Begegnungen mit jenen Teilnehmern einer Show, die alles aufs Spiel setzen, um mit ihrem Leben eine utopische Kraft zu realisieren. Die Wünsche, Konzepte, Pläne und auch Ängste der sogenannten einfachen Menschen - die immer komplexe sind - stehen im Zentrum. Gerade weil der Film an dieser Stelle schonungslos selbstreflexiv ist, stellt er unter Beweis, dass es keineswegs ausbeuterisch sein muss, das Leben der anderen zu zeigen.
Seiner Untersuchung folgt der Film in eigensinnigen und filmisch starken Bildern - seine Regisseurinnen sind beide auch Kamerafrauen im Film. Wir zeichnen einen Film aus, der politisch ist, nicht indem er Thesen verfolgt, sondern weil er künstlerisch präzise gemacht ist. Wichtig für die Entscheidung der Jury war, dass der Film beweist, dass Kino Wirklichkeit nicht einfach abbildet, sondern vielmehr allererst herstellen kann. Die Jury möchte den Film LETZTES JAHR IN UTOPIA von Jana Magdalena Keuchel und Katharina Knust mit dem Basler Filmpreis 2018 auszeichnen."
Laudatio Prof. Dr. Ute Holl, Jury Basler Filmpreis
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Interview Deutschlandfunk Kultur